Der voyeuristische Kamerablick
„Blind Date“ – eine Werkschau mit durchaus doppeldeutigem Titel: Bilder von Horst Sobotta im Forum Merzhausen.

 

Was will diese Handykamera, die uns mit demonstrativer Vorzeigegeste ihre neueste Ausbeute präsentiert – und dahinter liegt das soeben (?) abgelichtete Motiv: ein Blütenstängel, ein Ausschnitt vom Adelhauser Kirchplatz, die leicht bekleidete untere Körperhälfte einer Frau, eine Sechzigerjahre-Lampe, ein Schaf an der gespannten Leine. „Seht her, das ist das Bild und dies das Original“, scheint uns der Fotograf lauthals zuzurufen. Aber es bleibt doch nur ein Bild vom Bild, und wer genau hinschaut, wird auf kalkulierte Unstimmigkeiten und Verschiebungen stoßen.

So deckungsgleich exakt wie suggeriert ist die Relation von Bild und Abbild nämlich nicht. Die Vorstellung, der fotografische Kasten und seine digitalen Nachfolger könnten ein „wahres“ Bild der Wirklichkeit übermitteln, hat der Künstler Horst Sobotta schon immer lustvoll sabotiert. Seine Bildwirklichkeit ist eine prinzipiell Virtuelle, das heißt durch das visuelle Erinnern präformiert und durch Strategie der verschobenen Zeit-und Betrachterebenen verunsichert. So auch im Forum Merzhausen, wo der in Freiburg lebende Künstler in diesem Jahr die Ausstellungsreihe „Merzhausen im Dezember“ bestreitet. Das Besondere an diesem neuen Ausstellungsort: Die Bilder sind durch die großen Foyerscheiben auch außerhalb der Öffnungszeiten, sichtbar, etwa des Nachts. Eine Zeit, in die Sobottas Arbeiten zu passen scheinen, denen eine traumwandlerische Vertracktheit innewohnt. „Blind Date“ – der Titel dieser kleinen Werkschau ist durchaus doppeldeutig.

Wer aber ist wirklich blind, vor oder auf diesen Bildern? Der Betrachter, der die dargestellte Situation nicht recht durchschaut? Oder der gemalte Fotograf, der in eine halb intime Situation quasi voyeuristisch, gleich einem Paparazzo oder verkappten Triebtäter einbricht – und wohl kaum zum (Schnapp-)Schuss kommt? Die Rede ist von den großen Acrylbildern, von denen einige – nicht nur auf den ersten Blick – auch im großen musealen Rahmen hängen könnten.

Stets ist der Fotograf buchstäblich im Bild. Mal nähert er sich im altmodisch karierten Jackett einer aufreizend lächelnden Schönen, mal einem schnieken Paar, das ganz mit sich selbst beschäftigt scheint. Auf einem anderen Bild, das mit seinen roten Schlieren an ein soeben aus dem Säurebad gehobenes, überbelichtetes Foto erinnert, steht er neben einer Dame buchstäblich kopflos da und präsentiert eine Antiquitätenladen-reife Leica: „Seht her, ich habe die Situation, das Bild im Griff.“ Tatsächlich? Ist der Maler-Fotograf wirklich Herr der Situation? Der matte Schleier eines 50er-Jahre-Films liegt über diese seltsam, trotz leuchtender Grundfarben seltsam kühlen Gemälden, eine Aura nüchterner Nostalgie.

Wirken diese Arrangements aber nicht gerade deshalb klassisch postmodern? Der Frauenakt, flankiert vom Fotografen in verdoppelter Pose – entsprang er nicht einem Ingres-Gemälde? Oder ist der Déjà-vu-Effekt wiederum nur irritierendes Kalkül. Und wenn – wozu dient es? Zur Untermauerung der Erkenntnis: „Du kommst nie wirklich ins Bild.“ Nicht nur nicht, was die erregt lachende Marilyn anlangt. Ist alles nur blinde Recherche!

Sobottas Bild-in-Bild-Irritationen wirken derart subtil, als nähmen sie Teil an einem erkenntnistheoretischen Prozess, seien Illustrationen eines intellektuellen Diskurses. Oder ist auch dies nur ein Fake. Wahrscheinlich, aber irgendwie famos!

 

Badische Zeitung, 29. Dezember 2015, Autor: Stefan Tolksdorf